Bengalischer Wahnsinn

Ein Bericht von Dr. Melanie Buchacker-Hajduk über ihren Einsatz in Chittagong/Bangladesch

Meine letzte Woche in meinem Einsatz hier in Chittagong hat begonnen. Bei Temperaturen bis 35 Grad und 100%iger Luftfeuchtigkeit kommen wir schon, ohne dass wir etwas zu tun, ins Schwitzen. Einzige Möglichkeit, sich etwas abzukühlen, ist mein klimatisiertes Zimmer, in dem das Schlafen wirklich erholsam ist. Es ist mein dritter Einsatz, 2012 Buda, Philippinen, 2013 Nairobi, Kenia, aber mein erster Einsatz in einem muslimischen Land und das als Frau. Am 2.8.2014 startete ich pünktlich von Frankfurt nach Dubai. In Dubai hatte ich fünf Stunden Aufenthalt, die ich nutze, um meinen Lieben eine E-Mail zu schreiben und um etwas zu essen, was sich später als vorteilhaft erwies, da es in dem Flug von Fly-Dubai nur Essen und Trinken gegen Bezahlung gab. Beim Einchecken wunderte ich mich, dass ich in einer Reihe mit nur Männern stand. Als ich mich umsah, sah ich, dass die Frauen alle noch saßen.

Frauen und Männer gemeinsam vor der Kamera

Meine Kollegen und ich im Doctors House

Ich war also in der muslimischen Welt angekommen. Bei der Einreise in Chittagong musterte der Beamte aus einem mir unverständlichen Grund sehr lange meinen Paß, fragte, ob ich Ärztin sei. Ohne weitere Gründe winkte er mich durch. Mit meinen Koffern an der Hand blickte ich mich draußen nach einem Menschen mit German Doctors T-Shirt um. Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit verschlugen mir zunächst den Atem. Bryan, der Leiter des Projektes, sprach mich freundlich an, nahm mir die Koffer ab. Wir stiegen in ein Minitaxi und der Wahnsinn im wahrsten Sinne des Wortes = bengalischer Verkehr, begann. Eigentlich ist Linksverkehr. Sollte das stimmen, wechselt links hier ständig. Jeder: Rikschas, Motorräder, Tuck-Tucks, Kleinbusse, Busse, LKWs…… fährt wie er will! Wer hupt glaubt Vorfahrt zu haben und das bei einer Bevölkerungsdichte von 6 Millionen Einwohnern in Chittagong. Nach einer fast zweistündigen Fahrt für ca. 20km kamen wir gegen 21 Uhr in der Unterkunft an. Zu einer Dachterrasse, gehört ein Wohn-Eßzimmer, ein Duschbad, eine Küche und mittlerweile wieder zwei klimatisierte Zimmer. Für German-Doctors-Verhältnisse sehr nobel. Bekocht und zwar sehr gut werden wir von Gomol, der auch unsere Wäsche wäscht. Ohne Taschenlampe sollte man sich abends nicht bewegen, da man immer für kurz oder auch länger mit Stromausfall rechnen muß. Auch das Wasser kann schon mal ausfallen, so dass man darauf achten sollte, dass der 20l Eimer in der Duschkabine immer mit Wasser gefüllt ist, so dass man sich, gerade eingeseift, abspülen kann. Internetzugang ist abends bei Bryan im Büro möglich. Wenn man seinen Laptop oder Tablet dabei hat, kann man im Zimmer mailen oder skypen.

Behandlungszimmer German Doctors

Mein Behandlungszimmer in Chittagong

Am Montag begann dann die Ambulanz. Die Arbeitszeit ist von 8.30 bis 13 Uhr und von 14 bis 16, maximal 17 Uhr. In der Regenzeit kommen weniger Patienten. Freitags ist Ambulanz, für die Muslime aber Feiertag. Es wird hier nach der Reihe behandelt, das heißt, jeder sieht alles: Kinder oder Erwachsene. Das Krankheitsspektrum: Kinder mit Mangel-Unterernährung, schwere bis schwerste Bronchitiden mit Ruhedyspnoe. Viele Kinder mit wirklich schwersten Asthma, teilweise schon mit ausgeprägten Fassthorax. Es ist zu bedenken, wir leben hier nicht in Deutschland, viele Eltern können nicht lesen oder schreiben, haben wenig Schulbildung. Selbst nach mehrmaligem Zeigen der Handhabung eines Dosieraerosols mit oder ohne Spacer, verstehen die Patienten die Handhabung nicht. Hier gilt es, einen Kompromiß in der Rezeptierung zu finden. Ich habe des Öfteren eher wieder zu Tabletten, Salbutamol und Aminophyllin gegriffen, um einem Status vorzubeugen. Auch sollte man eher einmal ein Antibiotikum rezeptieren, da die Patienten, selbst wenn man sie zu Kontrollen wieder einbestellt, nicht unbedingt erscheinen. Als Akutintervention ist die Inhalation mit Salbutamol über den Pariboy bei Anna mit oder ohne Sauerstoff möglich.

Anna, die Seele der Ambulanz, neben unseren Übersetzern Susan und Liton. Sie ist für die Schwangeren, jegliche Art von Verbänden, Gipsen etc. zuständig und behält dabei die Ruhe weg. Ob sie immer alles versteht, wage ich zu bezweifeln. Ihr Englisch ist bruchstückhaft. Die Schwangeren werden alle 4 Wochen einbestellt, erhalten Mutivitamine, Eisen und Folic acid In dem 5-7 SSM wird eine Blutentnahme gemacht, je nachdem, wann die Frauen zum ersten Mal kommen. Viele Frauen sind gerade 16-17 Jahre bei ihrer ersten Schwangerschaft.

Mindestens 50 % der Patienten sind Frauen mit Headache, Backpain, Bodypain, Epigastric pain, Weakness. Bei der Untersuchung fällt auf, dass alle Frauen anämisch sind, sich epigastric pain nur in wenigen Fällen verifizieren lässt. Oft wird hier Hunger oder schlechte Ernährung die eigentliche Ursache sein. Auf weiteres Nachfragen haben viele Frauen vaginal discharge. Zum Glück können wir wieder einen Ultraschall des Abdomens machen, bei dem dann in 95% der Fälle ein normaler Befund ist und vielen Frauen die Angst genommen werden kann, etwas Bösartiges zu haben. Eine Patientin erschien in den 5 Wochen, die ich nun in der Ambulanz arbeite, 9mal mit epigastric pain. Nach aller uns möglichen Diagnostik, einschließlich Ernährungsberatung muß hier auch an psychosoziale Probleme gedacht werden.

Für mich immer wieder völlig unverständlich ist das Bild, was die Frauen in Bangladesch von sich selbst haben. Ich gebe zu, ich habe einen männlichen Übersetzer, so dass die Frauen geniert sind. Aber es ist nicht möglich, auf nacktem Oberkörper zu auskultieren, so dass ich erstmalig in meiner medizinischen Laufbahn auf den dünnen Baumwollblusen und Tüchern abhöre. Selbst die Mundinspektion ist vielen Frauen peinlich, leider teilweise zu Recht. Sie kauen Betel, was die Zähne braun macht. Einfachste Untersuchungsanweisungen, z.B. das tiefe Einatmen und Luftanhalten beim Ultraschall, ist vielen Frauen nicht möglich. Liton, mein Übersetzer, gibt zu bedenken, dass viele Frauen keine Schule besucht haben. Sehe ich mir das Geburtsjahr der Frauen an, ist auch in jüngerer Zeit oft nur das Jahr, nicht der Tag vermerkt. Das Gewicht der Frauen schwankt zwischen 29kg bis 70kg.

Ein weiteres großes Problem sind die Chroniker: Diabestes mellitus und COPD. Die Compliance der Patienten ist gleich Null. Selbst nach mehrmaliger Aufforderung, nüchtern zur Blutzuckermessung zu kommen, kommen sie nachmittags nach dem Essen und Werte um 320 und mehr sind keine Seltenheit.

Unterernährtes Kind Bangladesch

Unterernährung ist leider weiterhin ein großes Problem

Unser Klientel kommt aus dem Slum, der immer weiter verdrängt wird, so dass überlegt wird, Außenstationen zu errichten. Eine bereits vorhandene Außenstation ist das CBC = Ernährungscenter für Kinder. Hier kommen Frauen mit ihren unterernährten Kindern hin, erhalten Essen und Unterweisung in Hygiene, Ernährung, Impfungen etc. Mittwochs fährt ein German Doctor mit Bryan ins CBC und untersucht die Kinder. Als Dankeschön dürfen wir ihr Essen, Reis mit Linsen und Fleisch essen. Sehr lecker!!!!!!!!!!! Auch hier empfiehlt es sich, eine Taschenlampe mitzunehmen, um bei Stromausfall nicht ganz im Dunklen zu stehen.

Ein weiteres Highlight in meiner Zeit war der Besuch von Lisa Sous, der medizinischen Leiterin der German Doctors. Natürlich waren alle nervös. Es wurde geputzt, die Gardienen gewaschen usw. An den Wochenenden ist frei. An Freizeitaktivitäten stehen Bandarban, Cox Basar an erster Stelle. Für Bandarban braucht man eine schriftliche Erlaubnis, die rechtzeitig beantragt werden muß. Unsere war beantragt, leider lag sie an der Polizeistation nicht vor, so dass wir 3,5 Stunden auf der Station unsere deutsche Lektüre lesen konnten. Auf dem Weg nach Cox Basar hatte der Bus eine Reifenpanne, die nach 3 Stunden behoben war.

Ärztin auf Hausbesuch

Bei einem meiner „Hausbesuche“

Besonders interessant waren für mich die Ausflüge, die wir mit Pater Robert gemacht haben. Er ist katholischer Pfarrer und arbeitet gegenüber dem Doctors House in der katholischen Kirche. Er widmet sich besonders den Armen. Sein Anliegen ist es, den German Doctors ein wenig von dem wahren bengalischen Leben zu zeigen. Er hat mir unter anderem Familien gezeigt, die auf dem Land in guten Steinhäusern mit sogar Kühlschrank und Ventilatoren leben, aber auch ein Hochhaus, in dem im 6 Stock in einem Zimmern teilweise 5-6 junge Menschen wohnen und dafür 5000 Thaka im Monat bezahlen müssen. Wir haben mit ihnen einen sehr interessanten Abend verbracht, in dem wir über ihre Zukunftspläne gesprochen haben. Sie kommen teilweise vom Land in der Hoffnung hier ihren Schulabschluß zu machen oder Arbeit zu finden. Die Frauen arbeiten oft zunächst im Haushalt als Angestellte, versuchen aber längerfristig in der Fabrik Arbeit zu finden, damit sie wenigstens abends nach Feierabend ihr eigener Herr sind. In der Kleiderfabrik, die wir mit Pater Robert und Hernand, einem philippinischen Textilmanager besucht haben, herrschten relativ humane Bedingungen. Es gab Aircondition und geregelte Arbeitszeiten.

Ich habe zwar noch eine Woche vor mir, glaube aber jetzt schon sagen zu können, der Einsatz hat sich wieder einmal gelohnt. Ich habe viel gegeben, aber mindestens genauso viel bekommen und habe viel gelernt. Vielen Dank an alle, die das ermöglicht haben. Es wird sicher nicht mein letzter Einsatz sein.