Ein Massenanfall von Verletzten in Buda

Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Gehre aus Mindanao.

Der 25. Mai sollte eigentlich, trotz Dienstes, ein erholsamer Sonntag werden.

Die Vormittagsstationsarbeit war zwar reichlich, aber schaffbar gewesen und ich hatte – bei enormer Mittagsschwüle, gerade geduscht, als ich von einer Schwester zu unserer Gynäkologin in den Kreissaal zur Hilfe gerufen wurde. Ich war immer noch spärlichst bekleidet, als sie schon wieder kam und „Emergency, emergency!“ rief und ich draufhin – buchstäblich im Laufen noch die Hose hochziehend – losflitzte.
Im Kreissaal blutete eine Frau heftig aus einem Gebärmutterhalsriss. Inzwischen zum Hilfsanästhesisten aufgestiegen, rief ich einer Hebamme die Narkosemitteldosierungen zu und werkelte dann zusammen mit der Gynäkologin über eine Stunde lang schweissüberströmt. Schließlich war die Blutung bis auf weiteres gestillt.

Hätt´schlimmer kommen können, dachte ich und freute mich auf eine Atempause.
Aber ich wurde direkt in den Notaufnahmeraum gelotst und es kam schlimmer:
nicht nur ein schmerzgeplagter Durchfall und ein Kind mit Kopfplatzwunde warteten schon auf mich, sondern auch ein verunglückter Motorradfahrer – es hatte mittlerweile heftig angefangen zu regnen. Er hatte außer vielen Fleischwunden ein völlig schiefes Gesicht infolge einer Le-Fort-Fraktur samt eines grotesk dislozierten Nasenbeins und einer Brustkorbquetschung.

Auch das noch, dachte ich und wollte nach Erstversorgung mit Infusion und Schmerzbehandlung gerade mit dem Nähen der Wunden beginnen – da aber kam’s noch mal schlimmer:

Denn just in diesem Moment fuhren laut hupend ein Jeepney und ein Klein-Lkw auf den Hof und entluden auf Tragetüchern einen Verletzten nach dem anderen: 26 (!!) Verletzte zählten wir später zusammen.
Im Behördensprech der deutschen Feuerwehr nennt man das „ManV“ – einen „Massenanfall von Verletzten“, bei dem üblicherweise ein leitender Notarzt eingeflogen und die ganze Rettungskette in Gang gesetzt wird.
Wir durften das hier alleine managen.  Kriegsähnliche Bilder spielten sich binnen Minuten ab mit lauter auf der Erde oder auf Tragen und Bänken abgelegten Verletzten, schreienden Kindern und stöhnenden oder bewusstlosen Erwachsenen.

Drei Tote hatte es gleich an der Unfallstelle gegeben: ein mit Menschen voll beladener Lkw war beim Sturzregen eine tiefe Böschung herabgestürzt.

Schon die mit mir diensthabende junge Schwester erbrachte aus dem Stegreif Höchstleistungen – absolut überwältigend war jedoch, dass aus dem Nichts heraus binnen weniger Minuten nicht nur die gynäkologische und die pädiatrische Kollegin zum Helfen auftauchten, sondern vor Allem von überall her plötzlich Freiwillige erschienen:  lauter eigentlich dienstfrei habende Schwestern, Pfleger und Hebammen unseres Teams!!

Unter unseren Patienten waren acht Schwerstverletzte, die erste drohte sogleich zu versterben und hat nur ganz gegen unsere Erwartung schließlich doch überlebt. Anderthalb Stunden haben wir gewirbelt, bis die Triage durchgeführt und ein erster Überblick gewonnen werden konnte.

Mit diesem auf wunderbare Weise und unversehens entstandenen Großteam konnten die medikamentöse Notversorgung und Schmerztherapie eingeleitet werden (ein halber Monatsverbrauch allein an Ketanest dürfte allemal draufgegangen sein), größere Blutungen gestillt und Knochenbrüche mit Pappprovisorien geschient werden.  Drei sehr schwer Verletzte legten wir so eng auf der Ladefläche unseres Geländewagens zusammen, dass sie auf der schlechten Straße nicht mehr hin- und herfallen konnten und schickten sie eilig los.

Wir sichteten die leichter Verletzten weiter und nähten die größeren Wunden, um Transportfähigkeit herzustellen.
Nach mehr als drei Stunden(!) waren dann die Ambulanzautos und ein großer (hochmoderner!) Lazarettbus aus Davao eingetroffen, plötzlich flackerte ganz viel Blaulicht. Bis alle Patienten verladen und transportfähig waren, verging noch mal eine Menge Zeit.
Aber um es vorwegzunehmen: Alle unsere Patienten sind in der Uniklinik von Davao angekommen und alle haben überlebt.

Aber die Diagnoseliste ist stattlich: drei Kreislaufschocks,  eine extrem blutende Kopfwunde mit Schädelfrakturverdacht, 3 Humerusfrakturen, eine offenen und zwei geschlossene Femurfrakturen, ein offener Mittelhandbruch,  1 Unterschenkelfraktur, einem Schlüsselbein-, einem Jochbeinbruch, zwei, drei Rippenbrüche und mehrere Rückenverletzte mit mindestens einem Wirbelbruch samt beginnenden Querschnitt sowie viele, viele Schnitt- und Platzwunden, Prellungen, Stauchungen etc.

Noch eine Stunde, nachdem alle Patienten abgefahren waren, war auch das Fernsehen in Buda eingetroffen…
Außer dem noch blutverschmierten Notfallraum haben sie wohl nicht mehr so viele Motive gefunden und nahmen daher mit mir vorlieb: ich wurde von einer Reporterin interviewt und so sind – zur ziemlichen Aufregung aller Beteiligten –  unser German Doctors-Krankenhaus und Buda selbst erstmalig in den nationalen philippinischen Nachrichten erschienen!

Dr. Rolf Gehre half vielen Verletzten

Und wie unheimlich froh wir sind, dass alles hingehauen und alle Patienten überlebt haben, braucht nicht gesagt zu werden, oder?