Einsatz für Opfer von (Natur-)Katastrophen

Ein Bericht von Langzeitärztin Barbara Hünten-Kirsch aus Nairobi, Kenia

In Deutschland sind die Eisheiligen einer Hitzewelle gewichen, hier in Kenia haben sintflutartige Regenfälle landesweit zahlreiche Opfer gefordert. Viele Menschen unten am Mathare-River haben sich eine neue Bleibe suchen müssen. Eine unserer HIV-Patientinnen – Witwe mit drei Kindern – ist durch einen Stromschlag ums Leben gekommen. Glücklicherweise konnten unsere Mitarbeiter für die drei Kinder ein gutes, von Amerikanerinnen geführtes Heim finden. Dazu gibt’s noch die menschengemachten Katastrophen: Sozusagen direkt vor unserer Haustür wird die Hauptstraße – die Thika Road – von den Chinesen achtspurig zum Super-Highway ausgebaut. Es fehlt allerdings (noch?) an Bürgersteigen und adäquaten Überquerungsmöglichkeiten für Fußgänger. So sind allein auf dieser Straße von Januar bis April 70 Menschen zu Tode gekommen. Die Tochter einer unserer Übersetzerinnen wurde Zeugin, wie zwei ihrer Klassenkameradinnen überfahren wurden. Inzwischen hat die Bevölkerung dieser Straße schon den Namen „Killer-Highway“ verliehen.

"Killer"-Highway

„Killer“-Highway

Gerade heute Morgen noch habe ich das wöchentliche „Security Update“ gelesen, das über die landesweite Kriminalität berichtet: allein in der vergangenen Woche sind in Kenia 14 Menschen der Lynchjustiz zum Opfer gefallen. Wenn z. B. jemand beim Handy-Diebstahl erwischt wird, wird er zu Tode geprügelt. Vor wenigen Wochen wurde ein junger Mann von einem Mob zusammengeschlagen und mit mehreren Knochenbrüchen und Weichteilverletzungen in unsere Ambulanz gebracht und dort erstversorgt. Später haben wir erfahren, dass er noch am selben Abend verstorben ist. Offenbar hatte er auch noch schwere innere Verletzungen erlitten.

In unsere Ambulanz werden täglich unterernährte und schwerstkranke Kinder gebracht. Oft wundern wir uns, wie lange die Mütter warten, bis sie ihr Kind zu uns bringen. So hatten wir kürzlich ein sechs Wochen altes und nur 2,4 kg schweres Baby, das nur 25 % der Blutmenge hatte, die ein Mensch eigentlich haben sollte. Sein Bruder – sie waren Zwillinge – war schon verstorben. Die HIV-positive Mutter weigerte sich zunächst sogar, mit dem Kind ins Krankenhaus zu gehen. Erst als Lillian – unsere Oberschwester – sagte: „Entweder geht’s jetzt ins Krankenhaus oder zur Polizei“, erklärte sie sich bereit.

Aber es gibt natürlich nicht nur Hiobsbotschaften. Dankbar sind z. B. die Malariapatienten , die schwerstkrank in die Ambulanz gebracht werden und ein bis zwei Tage später schon wieder munter auf der Matte stehen. Ich denke da auch an eine junge Patientin mit schwerer Kardiomyopathie (das ist ein ganz schwaches Herz), die sozusagen aus dem letzten Loch pfeifend in unsere Ambulanz kam. Sie ist Masai und wurde den weiten Weg aus dem Rift-Valley zu uns gebracht, weil sie von Bekannten von uns gehört hatte. Auch wenn ihre Prognose letztendlich nicht gut ist, so haben wir ihr doch sehr gut helfen können: Die Wasseransammlungen in ihrem Körper sind inzwischen ausgeschwemmt und sie kann wieder „normal“ essen, schlafen und sich bewegen. Inzwischen ist sie ganz glücklich in ihr Heimatdorf zurückgekehrt und will nun einmal im Monat zur Kontrolle und Verschreibung neuer Medikamente vorbeikommen.

Oft kommen auch Malariapatienten

Untersuchung im Krankenhaus

Auch mit der Versorgung der chronisch kranken Patienten (also mit Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, Epilepsie, Sichelzellanämie) bin ich sehr zufrieden. Viele halten ihre Behandlungstermine ein und sind gut mit Medikamenten eingestellt. So scheint z. B. auch die Zahl der im Asthmaanfall notfallmäßig ankommenden Patienten abzunehmen. Die Behandlung der chronisch Kranken zu verbessern, war ja einer meiner Schwerpunkte im letzten Jahr.

Es gibt auch immer wieder Patienten, die recht gesund erscheinen. Gerade letzte Woche hatte ich einen kernig-kräftig aussehenden jungen Mann mit Rückenschmerzen. Er gab an, er sei einer der Malariapatienten und habe Typhus und Brucellose (alle durch Auswärtstestungen „bestätigt“); die hiesigen Lieblingserkrankungen. Für diese hatte er auch schon ein Sammelsurium an verschiedensten Antibiotika und Schmerzmitteln geschluckt, natürlich ohne Besserung zu verspüren. Dieser Fall ist ein Beispiel der uns immer wieder begegnenden und erschreckenden „Polypharmcy“ (Vielverschreibung von Medikamenten), die einerseits Resistenzen schafft und andererseits jede Menge Nebenwirkungen produziert. In solch einem Fall ist es natürlich wichtig, nicht ärgerlich zu werden, sondern nach sorgfältigem Ausschluss einer schweren Erkrankung den jungen Mann zu seinem guten Gesundheitszustand zu beglückwünschen und ihn mit einigen Tipps und Anleitungen für Rückengymnastik – ohne Verschreibung weiterer Medikamente – zu entlassen. Solch ein Vorgehen ist nicht ganz einfach, besteht doch die Erwartungshaltung der Patienten in der Verschreibung von Pillen. In diesem Fall scheint es mir aber gelungen zu sein, ihn nicht unzufrieden zu entlassen.