Auf Rolling Clinic in San Fernando

Ein Bericht von Luisa Stefanski auf Mindanao, Philippinen

Sonntagabends ist es voll im “Doctors‘ House” in Cagayan de Oro. Montags treffen sich die beteiligten Ärzte hier bevor es mit den verschiedenen Rolling Clinics losgeht. Der Langzeitarzt von Cagayan kommt auch noch auf einen Kaffee vorbei. Es werden Geschichten ausgetauscht und Neulinge wie ich hören gespannt zu. Am nächsten Morgen brechen wir dann auf. Als Erstes lernt man sein Team kennen: Nelson der Fahrer, Maricel die Apothekerin, Kenny die Übersetzerin und Joyceline an der Patientenaufnahme. Der Notfallkoffer wird vor der Fahrt noch kontrolliert – man hofft innerlich, von der Beatmungsmaske nicht Gebrauch machen zu müssen. Mit sechs Leuten und dem Kofferraum voll mit Medikamenten, Proviant und eigenem Gepäck wird es im Auto ganz schön eng. Jeder freie Raum wird ausgenutzt – jemand hält einen Karton mit Eiern auf dem Schoss, ich bekomme die Ananas-Tüte; ein Reissack ragt seitlich zum Auto hinaus. Der mitfahrende Zahnarzt meint, wir würden tatsächlich wie die „Hühner auf der Stange“ sitzen. Daraufhin gackern wir erst recht los.

Straße San Fernando Area

Unser Ziel ist die Gegend von San Fernando, eine bergige Gegend mit vielen Dörfern der indigenen Bevölkerung, den sogenannten Manubo. Wie bereits in anderen Ländern sind sie die Verlierer der “modernen” Mentalität: das ihnen fremde Konzept des Landeigentums brachte sie um ihr Hab und Gut. Sie wurden in die Bergregionen verdrängt, wo sie zum Teil auch getrennt von den restlichen philippinischen Bewohnern leben. Der Fruchtbarkeit wegen sind hier große Firmen ansässig, die auch unsere Lebensmittelläden beliefern: Del Monte, Dole etc. Die Diskrepanz der Lebensbedingungen tut richtig weh. Soziale Konflikte wecken immer wieder das Gewaltpotential zwischen den Manubo und den Philippinos, ob es um Bodenschätze oder Pferdediebstahl geht. Die medizinische Versorgung fehlt mancherorts komplett.

Landschaft San Fernando

Der Anreisetag ist lang. Die Wege werden mit der Zeit immer staubiger, die Häuser einfacher, die Landschaft dafür mächtig. Wir müssen zwei Mal durch den Fluss fahren, ansonsten gibt es Brücken. Es ist eine paradiesische Landschaft, fruchtbar und grün. Der Fluss schafft sich liebliche Meander zwischen den grünen Berghängen. Das Gefühl der Idylle verfliegt beim Anblick von armen Holzhütten mit einigen Löchern in der Wand als Türen und Fenster. Kinder schleppen schwere Säcke auf dem Rücken, doch sie machen eine Pause, um uns zuzuwinken. Nach sechs Stunden Fahrt beziehen wir unser Nachtlager. Unser Team darf im oberen Stockwerk eines privaten Wohnhauses einziehen, die Familie rückt einfach für uns zusammen.

Ankündigung der Rolling Clinic

Für die Sprechstunde werden öffentliche Treffpunkte der Dörfer benutzt: meist eine überdachte Fläche, auf der gerade Korn, Kaffee oder Kakao zum Trocknen ausgebreitet wird oder die Kinder Basketball spielen. Mithilfe von Vorhängen aus den Häusern wird etwas Privatraum für die Konsultation geschaffen. Ein Tisch und Stühle stehen meistens schon für uns bereit. Am Morgen finden täglich Unterrichtsstunden über Familienplanung, Hygiene oder Zahnpflege statt. Familienplanung ist ein schwieriges Thema. Einerseits haben sie eigene Methoden mithilfe von Kräutern, andererseits werden Kinder hier noch als Kapital angesehen. Häufig erst wenn die Kleineren (sechs bis zehn Jahre) als unterernährt auffallen, sind die Eltern vielleicht zu einer adäquaten Familienplanung bereit. Staatliche Gesundheitsarbeiter oder vom Komitee ausgebildete Freiwillige helfen beim Temperatur- und Blutdruckmessen. Eine Schar von Kindern beobachtet alles ganz genau. Am Schluss der Sprechstunde sitzen sie einem fast auf dem Schoss. Bis dahin kann man schon beobachten, ob sie husten, sich dauernd kratzen oder vielleicht nur entwurmt werden müssen. Die Triage für sie läuft somit nebenbei.

Die Hygiene ist mancherorts fragwürdig

Es regnet täglich und aufgrund der großen Wassermengen kommen wir nicht wie geplant in Lugawon – ein Dorf auf der anderen Flussseite – an. Es wird eine „Emergency Clinic“ im letzten Haus vor dem Fluss eingerichtet. Die Patienten werden informiert und kommen zu Fuß oder auf Pferden durch den Fluss. Die Nachfrage ist trotz der Flusslage hoch: der Zahnarzt zieht die Zähne im Garten, ich sehe die Patienten im „Wohnzimmer“ und kann sie auf der Matratze sogar im Liegen untersuchen.

Viele Geschichten beschäftigen einen noch in die Nacht hinein. Die Therapieentscheidungen werden nochmal umgewälzt, da man nicht weiß, wann die Patienten das nächste Mal einen Arzt konsultieren können. Immer wieder ist es das Team, das einen in die Normalität zurückruft, indem es z. B. für das leibliche Wohl sorgt, singt oder lacht. Ich bin froh, gerade in diesen Bergdörfern zu arbeiten, denn nicht zuletzt die Landschaft ist wie Balsam für die Seele: die der Helfer und sicherlich auch die der Patienten.

Berglandschaft Marilog District

Die zehn Tage sind dann doch schnell vorbei. Auf der Rückfahrt halten wir nochmal im Krankenhaus von Valencia an: alle von uns geschickten Notfällen sind angekommen. Einige Patienten sind bereits stationär unter Therapie. Der Junge mit Verdacht auf Dengue-Fieber wurde bereits aufgenommen, das unterernährte Kind mit Ödemen gerade noch untersucht. Es ist ein gutes Gefühl, ein Krankenhaus zum Einweisen im Hintergrund zu haben.

Kinder auf unserem Rolling Clinic-Geländewagen

Das Angebot, das hier durch die Rolling Clinic und die Krankenhäuser der Organisation in Cagayan, Valencia und Buda geboten werden können, ist begrenzt. Die philippinische Regierung übernimmt insbesondere für die entfernten Bergregionen nicht ausreichend Verantwortung. Der Teufelskreis von Armut und begrenzter Hygiene- und Bildungsmöglichkeiten mit den ganzen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit dreht sich leider weiter. An bestimmten Stellen und ganz sicher für einige Menschen konnte er etwas verlangsamt werden. Und wer kennt das nicht aus der eigenen Erfahrung: das Ernstgenommenwerden inmitten einer kritischen Situation macht die eigene Menschenwürde erfahrbar und spendet Trost. In diesem Sinne spiegelte unser Einsatz – unabhängig von Impfungen, Verbänden, Medikamenten oder Krankenhauseinweisungen – einen würdevollen Umgang mit allen Menschen wider; ganz im Sinne des Leitbilds: „Jeder Mensch zählt!“